Spiel des Staubes

– Wie sie sehen konnte ich nichts dafür. Ich war sozusagen Opfer der Umstände. Naja und des Klimas natürlich.

– Meinen Sie nicht, sie machen es sich damit ein bisschen zu einfach? Welche Umstände denn? Und das Wetter? Ich weiß selbst, dass es in letzter Zeit ziemlich heiß ist, aber das, was Ihnen passiert ist geht doch gar nicht!

– Ich kann mich nur wiederholen. Der Staubsauger ist kaputt gegangen und dann kam dieses heiße Wetter. Die Zeitungen schrieben “Jahrhunderthitze”. Ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen aber es war schon sehr warm für die Jahreszeit.

– Ja es war heiß wie in der Wüste. Finden Sie das nicht treffend?

– Ja das trifft es so ziemlich.

– Halten Sie sich für witzig? Ich kann über diesen Blödsinn jedenfalls nicht lachen. Fakt ist, Ihre Nachbarin hat sie gestern halb verdurstet gefunden. Sie sagte uns, sie wollte sich nur ein Ei und etwas Zucker von Ihnen leihen. Wie konnte es soweit kommen?

– Ich weiß nicht, vielleicht hat sie es beim Einkaufen vergessen.

Ich meine nicht den Einkauf, ich meine Ihren Zustand! Wie können sie in Ihrer eigenen Wohnung fast verdursten? Mal abgesehen davon, wie es dort drinnen bei Ihnen aussah!

– Wie ich schon sagte. Mein Staubsauger ging vor einiger Zeit kaputt.

– Ich verstehe das nicht. Warum reden Sie ständig von Ihrem Staubsauger?

– Vor ungefähr zehn Tagen ging er kaputt. Genau zu dieser Zeit fing es an, so warm zu werden.

– Das erklärt noch nicht den Zustand Ihrer Wohnung. Wir haben kaum die Türen aufbekommen!

– Jedenfalls hat sich seitdem der Staub angesammelt. Die Hitze schien dies noch zu verstärken. Ich war wie gelähmt und habe mich dem Spiel des Staubes nicht entziehen können. Können Sie mir folgen?

– Nein, aber machen Sie weiter.

– Als sich immer mehr Staub angesammelt hat, ist mir etwas aufgefallen. Das war gar kein Staub, sondern eher ganz feiner Sand. Leider habe ich das erst erkannt, als es zu spät war.

– Ich verstehe kein Wort.

– Ich verstehe das auch nicht. Auf einmal merkte ich, wie die ganze Wohnung bereits mit einem Film aus feinem Sand überzogen war. Der Sand wurde immer mehr, bis die Zimmer einer Wüstenlandschaft glichen.

– Ich glaube das nicht. Selbst wenn es so gewesen sein sollte, warum sind Sie nicht einfach aus ihrer Wohnung geflohen? Wäre ihre Nachbarin nicht zufällig zur Stelle gewesen, wären Sie jetzt höchstwahrscheinlich tot, ist ihnen das klar?

– Haben Sie schon einmal versucht, aus der Wüste zu fliehen? Können Sie sich vorstellen, wie schwer das ist? Und dann noch diese unerträgliche Hitze? Alles hat vor meinen Augen geflimmert! Ich habe es kaum bis zur Haustür geschafft. Waren Sie schon mal 10 Tage in der Wüste? Waren Sie schon mal 10 Tage in der Wüste und haben versucht, zum Horizont zu gelangen?

– Nein. Das war ich noch nicht. Beruhigen Sie sich bitte, ich bin jetzt fertig mit dem Gespräch.

– Warten sie, ich habe noch eine Frage.

– Bitte?

– Wenn wir jetzt fertig sind, könnte ich meine Nachbarin anrufen? Ich bin mir sicher, dass ich noch Eier und Zucker in der Küche habe.

– Nun, leider geht jetzt nicht. Ich werde ihr jedoch eine Nachricht zukommen lassen. Sie kann Sie dann in der regulären Besuchszeit sehen. Bitte folgen sie mir nun in Ihre Einrichtung.

Singin‘ in the Rain

Eines müsst ihr wissen, er wurde nicht gerade auf der Sonnenseite geboren, nein, vielmehr auf der – lasst mich das so sagen – Regenseite. Als kleiner Knirps hatte er es nicht leicht. Damals sah er die Sonne nur, wenn er aus dem Fenster schaute und das passierte nicht so häufig. Er kam nicht oft raus, höchstens mal am Abend oder am frühen Morgen. Weil seine Eltern sehr besorgt um sich waren, nahmen sie ihn überall hin mit. So konnte er schon als er noch so jung war von sich behaupten, weit herum gekommen zu sein. Und lasst mich das so sagen, er hat die Welt gesehen. Vor allem London gefiel ihm, er war dort wirklich überall. Leider sollte sein Glück dort auch bleiben. Der Flug zurück war der reinste Horror für unseren Kleinen. Eingequetscht zwischen den anderen wurde es enger und enger und als das Flugzeug dann auch noch durch ein Luftloch flog, passierte das denkbar ungünstigste. Er brach sich ein Gelenk. Nun muss ich euch sagen, dass die Eltern das damals nicht mitbekommen konnten. Zuhause angekommen stellten sie ihn in sein Zimmer und bemerkten erst Tage später den Bruch. Das war jetzt quasi so eine Wende in seinem Leben. So wie man das immer hört, nachdem das und das passierte, war ich nicht mehr der selbe und so. Lasst mich einen kleinen Sprung machen und sagen, das stimmt. Er ist heute wirklich nicht mehr der selbe und ich kann euch sagen, seid unbesorgt, es geht ihm prächtig, er befindet sich sozusagen auf der Sonnenseite des Lebens. Und gekommen ist das so: Nachdem er verarztet wurde, musste er erstmal in seinem fensterlosen Zimmer bleiben. Ein halbes Jahr verging und er fragte sich, ob seine Eltern überhaupt noch da waren. Die Frage war berechtigt, denn das waren sie nicht. Eines Tages ging die Tür auf und vor ihm standen drei Personen. Eigentlich sah er nur eine, dafür aber umso besser. Es war ein Mädchen in seinem Alter und er verliebte sich unsterblich. Irgendetwas muss da jedenfalls gefunkt haben, denn das Mädchen nahm ihn mit nach draußen, wo die Sonne so hell war, dass es weh tat. Ihr müsst wissen, dass das eine ganz normale Reaktion ist. Ein halbes Jahr im Keller ohne Licht und dann auf einmal … ihr könnt euch das sicherlich vorstellen, obwohl ich natürlich hoffe, dass ihr sowas noch nicht erleben musstet. Jedenfalls waren das Mädchen und der Knirps unzertrennlich. Wann immer sie seitdem in die Sonne geht, nimmt sie ihn mit, spannt ihn auf und singt dabei dieses Lied von Frank Sinatra.

Wie eines Tages ein Storch durch mein Fenster flog

Neulich flog mir ein Storch durchs Fenster. Überrascht fragte ich mich, was er hier wolle. Statt eines Kinderbeutels hatte er ein gebrochenes Bein, sprich: Bruchlandung. Was macht man nun mit einem gebrochenen Storch? Stabilisieren und hinstellen? Meine Wohnung ist so flach, da kann der gar nicht stehen. Er müsste quasi im Sturzflug durchs Fenster gerammelt sein. Wer macht denn sowas? Egal, ich musste handeln, hab schließlich noch nie einen Vogel in meinem Wohnzimmer verenden lassen. Schritt 1: Atmung checken. Atmung ist in Ordnung. Schritt 2: Helm abnehmen. Das war einfach, da der Storch unverantworlicher Weise nie mit Helm flog. Da kann man jetzt denken: Das hat er nun davon, aber Mensch, das ist ein Vogel. Der hat doch gar kein Sicherheitsbewusstsein. Schritt 3: Stabile Seitenlage. Ich gebe zu, das war der schwierigste Teil. Schreibt man jemanden zu, er habe Storchenbeine, ist das kein Kompliment. Stichwort Stelzen. Nun wurde der Vergleich zur Realität. Ihr könnt mir glauben, das war nicht einfach. So ein Storchenbein hat auch mindestens ein Storchenknie. Und wie herum sich das beugen kann war in dem Fall „Trial and Error“, also mehr Probieren als Studieren. Die Sache mit Arm hinter den Rücken musste ich wegen Geflügel überspringen. Zuletzt legte ich den Storchenkopf auf seine Schulter. EIgentlich müsste ich man statt Kopf Storchenschnabel sagen, schließlich ist der ja um ein Vielfaches größer. Ich dachte fast Schrumpelkopf mit Flüstertüte. Ich fragte mich, was ich noch tun könnte und erinnerte mich an meinen Erste-Hilfe-Kurs vor X Jahren. Hatte ich etwas vergessen oder konnte ich endlich 112 wählen? Nicht, dass ich mir vorwerfen muss, nicht genug lebensrettende Sofortmaßnahmen getätigt zu haben. Schritt 1, 2, 3 … waren das nicht alle guten Dinge? Also weiter gings mit dem Notarzt und ich muss wirklich hervorheben, wie schnell die kamen. Genauso, wie man sich das vorstellt, mit Blaulich und allem. Und so schnell waren sie auch wieder weg, genauso wie man sich das vorstellt, mit Blaulicht und allem. Guten Gewissens ging ich ins Bett. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war mir schweinekalt. Klar beim kaputten Fenster. Ich rief die Handwerker und nach drei Tagen standen zwei Vögel vor meiner Tür, genauso wie man sich das immer vorstellt…