Von Bäumen, Brezeln und der Ästhetik des O

Vor zwei Wochen bin ich nach München gezogen. Ich hatte das Glück, für diese zwei Wochen bei einer Frau unterzukommen, die hauptberuflich für verzeifelte Menschen da ist und in ihrer Freizeit gerne Tee trinkt, Dinkelkekse isst und Bäume umarmt. Letzteres habe ich an der Uni auch schon gemacht – ein Hoch auf Schlüsselqualifikationen – wir hatten also gleich einen gemeinsamen Nenner. Ich habe dort Schwabing, den Nymphenburger Park und die Münchner Freiheit etwas näher kennen gelernt, das waren für mich vorher Böhmische Dörfer (und das, obwohl ich als Kind ein riesiger Fan der Münchner Freiheit war…).
Mein Job im Goethe-Institut bereitet mir viel Freude. Nicht zuletzt deshalb, weil ich mich mit dem Projekt, an dem ich mitarbeiten darf, ser gut identifizieren kann. Die Arbeit macht mir so viel Spaß, dass ich schon beinahe angefangen habe, über den Büroalltag zu twittern. Frei nach „Mist, der Kaffee ist alle“ oder „Es druckt nicht“. Aber dann bin ich doch noch zur Besinnung gekommen.
Viele wollen wissen, wie München „so ist“ und ob ich mal was darüber berichten kann. Hätte ich vorher den Kopf voller Klischees gehabt, wären mir diese sicherlich hier bestätigt worden. Ich kann also wenig dazu sagen. Lederhosen und Schickimicki habe ich noch nicht groß wahrgenommen. Das, was mir bisher aufgefallen ist, ist dass hier zu jeder Zeit und überall Brezeln verfügbar sind und es so Zeitungskästen gibt, wo man irgendwas reinsteckt (oder auch nicht) und sich dann so viele Zeitungen wie man will herausnehmen kann. Pfft, und die Aktion „Bild für alle“ soll was besonderes sein, ja? Und der Döner schmeckt mir nicht, aber vielleicht bin ich da auch verwöhnt. Das letzte Mal, dass ich so ein „Sandwich Döner Art“ gegessen habe, war in Syke. Das ist ein Kaff in Niedersachsen. Aber wollen wir uns nicht mit solchen Lapalien aufhalten.
Jetzt sitze ich hier in der neuen Wohnung. Noch ist sie ohne Möbel, die kommen bald nach. Ich überlege, ob ich mir eine Zeitung nehme und überall den Buchstaben O durchstreiche. Ich hab das mal in einem Roman gelesen (von Faldbakken oder Drehmann, kann mich aber auch irren), nur dass es dort der Buchstabe E oder I war. Für ein O braucht man natürlich einen Grund der Antipathie, sonst hätte das ja gar keinen Sinn. Da stellt sich mir die Frage, warum ich das O nicht mögen sollte. Ist es mir zu offen oder zu geschlossen? Irgendwie ist beides richtig, da müsste man sich mal professionelle Hilfe bei einem Ästheten holen.
Was für eine Kurve hat dieser Text jetzt eigentlich genommen? Ich wollte doch nur beschreiben, dass ich jetzt alleine in einer leeren Wohnung sitze… In diesem Sinne.

Autor: Stefan

Japanologe, Deutsch-als-Fremdsprachler, Blogger, Schatzsucher. Hobbys sind Lesen, Gucken und Machen.

4 Gedanken zu „Von Bäumen, Brezeln und der Ästhetik des O“

  1. Tee trinken, Bäume umarmen und über das o nachdenken – einen besseren Start gibts in München wahrscheinlich nicht 🙂

    Die Welt durchs O zu sehen ist besser als durchs i. Sag ich mal.

  2. Stefan, in der Hoffnung dich auf diesem Wege zu erreichen: Biergarten heut um 5 fällt nach relativ demokratischer Entscheidung aus! Relativ, weil wir dich nun diesbzgl. telefonisch nicht konsultieren konnten (und keiner zu Hause on ist und ich nicht beim Gesichtsbuch). Um voranschreitende Akklimatisierungsprozesse in der bayerischen Metropole durch den Ausfall des Biergartenbesuches nicht zu lähmen, darfst du uns nächste Woche alle mit so ner Riesenbreze „watschen“! Sofern das deinem ästhetischen Empfinden widerstreben sollte (sehr romantisch, die Anekdote mit dem O – offen oder geschlossen – ist wie halb voll oder halb leer und bekanntlich leeren sich die voluminösen Krüge hier im Nu), darfst du dir gerne ein anderes „Schmankerl“ aussuchen. Ich werde mir nun auch mal ne Zeitung schnappen und vermutlich die Ms durchstreichen, deren Akkumulation sublimer Ausdruck eines zarten Haderns oder des entfesselten Genusses sein können… Da wären wir wieder bei der situationsbezogenen Ansichtssache von halb voll oder halb leer. Mmmmhh… Ich hol mir erstmal noch n Kaffee… K.

  3. @anonym Nr. 1: Immer mit der Langsam, da kommt schon noch was.

    @Anonym Nr. 2: Es gibt so Texte, die muss man einmal lesen und welche, die muss man zweimal lesen. Dann gibt es diesen schönen Kommentar. Ich hoffe, der Kaffee hat geschmeckt!

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