Während die Bundesregierung sich noch fragt, was diese Willkommenskultur, die man jetzt stärker verbreiten will, eigentlich ist, habe ich sie bereits erlebt. Und zwar nirgendwo anders als in Berlin Schöneweide. Was wirklich seltsam ist, denn denkt man an Berlin, dem selbsternannten place to be, denkt man nicht zwangsläufig an den besagten südöstlichen Ortsteil der Hauptstadt. Kein Wunder, denn hier ist Gentrifizierung noch ein Fremdwort und es halten sich hartnäckig Gerüchte, das man hier mit einem Schlag in die Fresse begrüßt wird.
Exkurs: Das ist mir wortwörtlich mal in Leipzig passiert. Ich kam mitten in der Nacht auf dem Hauptbahnhof an – Leier Leier, der größte Sackbahnhof Europas, Leier Leier – holte mir noch eine preiswerte Burgerspezialität und wartete auf den Nachtbus. Auf einmal kam mir ein Typ entgegen – der wohl größte Sack Leipzigs – und schlug mir erst den Burger aus der Hand und dann in die Fresse. Ich muss mit meiner intelligenten Aura irgendwie unterschwellig Neid bei ihm ausgelöst haben, anders kann ich mir das nicht erklären … oder er war militanter Veganer, wer weiß. Ist jedenfalls schon alles lange her und es tut auch fast gar nicht mehr weh, Exkurs Ende.
Die Begrüßung in Schöneweide fiel also weniger dramatisch als vielmehr recht herzlich aus. Vor kurzem checkte ich den nächsten Buchladen aus und der Verkäufer, ein komischer Kauz mit Rauschebart, verwickelte mich gleich in ein Gespräch über Brillen, Leselampen und Leselampen für Brillen. Er verabschiedete sich mit einem lockeren „Bis zur nächsten Runde!“, das hat mir gefallen.
Nebenan ist ein Kino, das ich auch gleich probierte. Neben mir saßen zwei Jugendliche, deren Habitus es schwer machte, sie irgendeiner gesellschaftlichen Gruppe zuzuordnen. Vom Aussehen her eher prollig (ohne Wertung), holten sie kurz vor Filmbeginn eine Flasche Rosé hervor und tranken den genüsslich. Mitten im Film dann die Frage an mich: „Willste n Bier?“ Also DAS nenne ich Willkommenskultur. Auch wenn man nur Rosé hat ruhig mal ein Bier anbieten.
Übrigens: Unter manchen Berlinern ist Schöneweide – neben vielen nicht so schönen Sachen – auch unter dem Namen „Schweineöde“ bekannt. Diese Leute haben wohl noch nie am Münchner Stadtrand gewohnt. Hier passiert ziemlich viel, auch wenn es manchmal nur Kleinigkeiten sind. Neulich vor einem Getränkemarkt z.B. unterhielten sich vier Personen, denen kleinster gemeinsamer Nenner im Promillebereich lag, besorgt über Glasscherben (Sternburg) direkt vor der Eingangstür. Dass das doch nicht so geht und sie die wegmachen müssen, nicht auszumalen was passieren könnte, würde ein Kind oder sogar ein Hund dort reintreten. Hätte ich keine Getränke kaufen müssen … das Schauspiel hätte ich mir noch Stunden geben können. Ich also mühelos an den Scherben vorbei rein (bin ja kein Kind mehr und Hund war ich noch nie). Raus ging es dann nicht mehr so leicht, denn auf einmal lag einer aus der Gruppe auf dem Boden und hielt sich sein blutüberströmtes Gesicht fest. Anscheinend wollte er die Glassplitter mit seinen Augenbrauen aufheben, was ihm sicherlich den Respekt vieler eingebracht hätte. Geklappt hat das nur offensichtlich nicht. Die anderen drei hockten neben ihm und während sie alle auf den Krankenwagen warteten und zur Einfahrt starrten, lief der letzte Rest einer angebrochenen Flasche (Sternburg) unbemerkt über das Gesicht des Brauenakrobaten.
Schweineöde … da lachen ja die Hühner!