Kli-Kla-Klassentreffen

Na, erinnert ihr euch noch an das Jahr 2002? Nach der Angst vor dem Millennium-Bug liefen die Computer weiter. Der erfolgreichste Film in den Kinos war Der Herr der Ringe: Die zwei Türme, während im Fernsehen TV Total und massenhaft Talkshows liefen. Auf Platz 1 der deutschen Jahrescharts lag Las Ketchup mit dem Ketchup Song und das beliebte File-Sharing-Programm eMule wurde veröffentlicht. In Mitteleuropa gab es heftiges Hochwasser und ich habe Abi gemacht.

20 Jahre ist das her. Das ist mein halbes Leben. Danach ist viel passiert, ich behaupte sogar das meiste. Lang her ist es auf jeden Fall und deshalb stand ein Klassentreffen an. Normalerweise bin ich bei sowas sehr zögerlich und bis zum eigentlichen Tag war mir nicht klar, ob ich hingehen sollte oder nicht. Naja was soll ich sagen? Ich ging hin.

Am aufgeregtesten war ich natürlich auf das erste Wiedersehen der ehemaligen Mitschüler und Mitschülerinnen. Meine Gedanken über den ersten Auftritt verliefen in zwei Richtungen. Ich stelle mir einerseits einen grandiosen Empfang vor. Ich komme als letztes, alle drehen sich um. Meine Haare wehen im Wind, ich strahle wie Galadriel. Die ersten werden ohnmächtig, andere fragen sich: Wer ist das nur? Auf der anderen Seite denke ich daran, dass ich ganz verschüchtert ankomme und mich kaum jemand bemerkt. Alle sind lauter, schöner und cooler als ich und die, die mich bemerken, fragen sich: Wer ist das nur?

Am Ende war es ganz anders. Einige von uns trafen sich zunächst vor der Schule und ich war unter den ersten. Es füllte sich langsam und es war total nett. Eine „von uns“ ist mittlerweile Lehrerin an der Schule. Sie hatte das, was einfach magisch war. Sie hatte Den Schlüssel. Also zu allen Räumen. Und so ging es dann auch vom Keller bis in die vierte Etage einmal durch die ganze Schule. Unter den Räumen, die wir uns angesehen haben, war auch mein alter Klassenraum und da hatte ich ein seltsames Gefühl verspürt. Wo andere noch genau wussten, wer wo wann gesessen hatte, wusste ich schon gar nicht, wo der Raum ist. Es lag ein so positives Nostalgiegefühl in der Luft, das ich irgendwie nicht einatmen konnte oder wollte. Ich habe selten in den letzten 20 Jahren an eine schöne Schulzeit gedacht. Ganz im Gegenteil, ich bin froh, nicht mehr in die Schule gehen zu müssen und denke wenn, dann eher an die schlechten Dinge. Ich bin nie gerne zur Schule gegangen und wenn ich überlege, was ich mit der Schulzeit verbinde, so ist das vor allem die Angst davor, dass mich Lehrerinnen und Lehrer drannehmen. Das ist okay, aus mir ist trotzdem was geworden, ich bin nur nicht juchzend durchs Gebäude gelaufen und habe mich groß an den Erinnerungen erfreut. Ich freue mich aber für diejenigen, die das gemacht haben. Und ich freue mich auch, dass ich bei der Aktion mitgemacht habe.

Danach ging das Klassentreffen erst richtig los. Wir haben uns in einer alten Badeanstalt eingemietet und hatten da mehr oder weniger geschlossene Gesellschaft. Neben uns waren da nur vereinzelte Leute, die dort übernachtet haben und und schonmal gezeigt haben, wie wir in den nächsten 20 Jahren aussehen werden. Wir waren dort nochmal wesentlich mehr Personen und ich war wirklich erstaunt. Erstaunt darüber, wie nett alle waren und wie schön die Gespräche waren. Der Mein-Haus-Mein-Auto-Mein-Boot-Faktor war erstaunlich gering. Mein Gefühl bei der Schulführung habe ich mit einigen Leuten besprochen und daraus entstanden wiederum tolle Gespräche. Und siehe da: Die, die zu denen ich aufgeblickt habe, weil das für mich die coolen Kids waren, fanden sich selbst gar nicht so cool. Too cool for school my ass! Jede Person hat so ihre eigenen Erfahrungen gemacht, und die zu hören fand ich echt interessant. Am Ende habe ich dann mehr oder weniger den polnischen Abgang gemacht.

Wie gesagt, ich war dem Ganzen gegenüber echt skeptisch eingestellt. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich gehe eigentlich für andere hin, die dann von mir nur wissen wollen, wie es war. Und ganz ehrlich: Wir waren damals mehrere parallele Jahrgänge. Ich hatte einfach mit den wenigsten überhaupt zu tun. Am Ende war das Klassentreffen eine gute Sache. Ich freue mich, dass ich nicht doch gekniffen habe. Heute, also ein Tag danach, dreht sich noch der Schädel, weil ich normalerweise mit nicht so vielen Leuten gleichzeitig zu tun habe, aber das Gehirn braucht ja auch was zum Arbeiten.

Apropos Gehirn: Ich hoffe, dass sich jetzt endlich die Träume über vergessene Sportsachen in der Schulzeit erledigt haben und du nur noch von einer Feuerschale träumst, an der wir alle standen und uns nett unterhalten haben.

2002 – 2022

Autor: Stefan

Japanologe, Deutsch-als-Fremdsprachler, Blogger, Schatzsucher. Hobbys sind Lesen, Gucken und Machen.

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