Was macht eigentlich der Schneemann, wenn es nicht gerade kalt ist? Ich sehe ihn im Winter fast jeden Tag auf dem Rummelplatz stehen. Nicht, weil gerade Rummel ist – vielleicht würde er sich das wünschen – nein, weil er dort Weihnachtsbäume verkauft. Durch seine imposante Größe soll er dort jedes Jahr Kunden anlocken. Groß und weiß, das sind seine Qualifikationen. Selbst die passende Kleidung hatte er schon: einen schwarzen Zylinder und einen roten Schal war Pflicht in diesem Job. Seine Arbeit gefiel ihm und er füllte sie pflichtbewusst aus, doch irgendetwas fehlte. Von Zeit zu Zeit stellte er sich die Frage, ob ob er der einzige Schneemann hier sei. Er ist noch nicht viel herumgekommen und lesen hat er auch nie gelernt, aber könnte das sein? Der einzige seiner Art?
Eines Abends sah er etwas in der Ferne. Klein und weiß, wie eine Miniaturausgabe von ihm. Er rannte voller Erwartung in den Hinterhof, wo er es zuerst gesehen hat, doch was er da sah, spottete jeder Beschreibung. Der Zylinder war nur ein umgedrehter Kochtopf – das muss man sich mal vorstellen. Und als er das Gesicht berührte, stellte er fest, dass die Nase nur eine alte Möhre (!) war. Voller enttäuschung wandte er sich ab. So kann das nicht weitergehen, dachte er. Diese Ungewissheit! Irgendwo muss es doch noch echte Schneemänner wie ihm geben. Höchstwahrscheinlich am Nordpol, weil es da kalt ist. Oder doch eher am Südpol? Er kannte den Unterschied nicht und beführchtete, die Reise dahin wäre zu anstrengend. Und wie sollte er dort auch überleben? Er würde dort allen Vorurteilen gegenüber Schneemännern nicht überleben können, da es dort einfach viel zu kalt ist und einfrieren würde.
Die Jahre vergingen und es scheint, als hätter der Schneemann resigniert. Seine Arbeit verrichtet er immernoch jedes Jahr gewissenhaft, aber als ich ihn das letzte mal sah, kahm es mir so vor, als wäre er etwas kleiner geworden. Hoffentlich ist er auch dieses Jahr im Winter wieder auf dem Rummelplatz. Vielleicht frage ich ihn dann, was er im restlichen Jahr so gemacht hat.