Goodbye München

Es ist soweit. Meine Zeit in München neigt sich langsam aber sicher dem Ende zu. In Zukunft geht es wieder Richtung Heimat. Wie heißt die Stadt noch gleich? Irgendwas mit B…, aber nicht Bernau. So ähnlich. Etwas größer, aber auch in der Nähe von Eberswalde. Darum soll’s jetzt aber nicht gehen.

Am ersten April 2012 bin ich nach München gezogen, um ein Jahr lang im Goethe-Institut zu arbeiten. Zwei Tage zuvor habe ich eine Wohnung gefunden, quasi auf den letzten Drücker, als schon fast alle Hoffnung aufgegeben wurde. Der Wohnungsmarkt ist hart, bla bla, die Preise bla bla, ja das wusste ich alles vorher und alles war trotzdem schwerer als gedacht. Eine Wohnung bekam ich dann durch einen glücklichen Zufall ab Mitte April, wobei nicht nur mein Charme eine Rolle spielte, sondern auch die Verbundenheit meines Vermieters zu Leipzig. Liebe Grüße an dieser Stelle an die Baustelle in Plagwitz!

Die ersten zwei Wochen wohnte ich bei einer Dame in der Nähe der Münchner Freiheit. Die Geschichte kennen einige von euch bestimmt schon, aber sie soll trotzdem Erwähnung finden. Nachdem ich am ersten April mit Stunden Verspätung mitten in der Nacht ankam, war ich so abgehetzt, dass mir die ganzen Bücher und Ordner und Bilder und noch mehr Bücher, mit der die Wohnung überfüllt waren, gar nicht aufgefallen sind. Ich wurde also zunächst in die Küche gebeten, da könne ich mich mal setzen und das mit der Uhrzeit ist doch gar kein Problem und ob ich denn einen Tee wolle. Nein danke, ich bin nicht so der Teefreund – kein Problem, dann mach ich mir einen. Und jetzt geschah folgendes: Sie goss den Tee in eine riesige Schüssel und trank ihn dann mit einem Strohhalm. Das fand ich so ungewöhnlich, dass ich mich bis heute immer mal wieder frage, was passiert wäre, wenn ich ja zum Tee gesagt hätte. Hätte ich dann einen Strohhalm bekommen?

Es folgten in den nächsten Tagen viele philosophische Gespräche und wir haben uns gut verstanden – und das nicht erst, nachdem ich ihr von diesem einen Seminar, bei dem ich Bäume umarmen musste, erzählt habe (das war aber sicher auch ein Grund). Zu manchen Zeiten musste ich ganz besonders leise sein, weil sie im Nebenzimmer irgendwelche Topmanager hypnotisiert hat, aber ansonsten hatte ich keine Einschränkungen. Das waren verrückte erste zwei Wochen und falls du dass hier liest, grüße ich dich, D.

Komischerweise kommt mir das alles nicht so vor, als wäre das gerade erst passiert. Ein Jahr ist schließlich nicht lang. Mir kommt es trotzdem vor wie eine Ewigkeit, vielleicht weil so viel passiert ist: Oktoberfest-Invasion, Stromausfall, Bombenexplosionen etc. Ich habe meine Zeit hier genossen. Die Arbeit war super und ich habe neue Freunde kennengelernt. Mit der Stadt konnte ich mich nicht so recht anfreunden, aber das ist kein Problem. Also sage ich „Goodbye München“ und „Hallo B…“, bitte behandle mich nicht wie einen Schwaben, ick komm doch ausm Speckjürtel!

Mein Tatortwissen

Tatort. Das ist eine deutsche Institution. Das ist wie die Tagesschau, das wird geguckt. Tatort gab es schon immer und Tatort wird es ewig geben.
Das hört sich ein bisschen so an wie der Stoff aus dem Religionen sind. Ich frage mich jetzt unweigerlich: Wann war der erste Tatort? War der vor oder nach der Erfindung des Fernsehens? War der in Stein gemeißelt oder auf Papyrus geschrieben? Und: War der mit Schimanski?
Tatort, das ist für mich Halbwissen. Ich weiß nicht viel darüber, außer dass das meine Eltern oft geschaut haben. Das kam aus „dem Westen“. Bei uns gab es dafür Polizeiruf 110 und das gibt es heute auch noch, wohl irgendwie abwechselnd. Ich habe mich immer gefragt, wie man das ausspricht. „Polizeiruf einseinsnull“ oder „Polizeiruf hundertzehn“?
Tatort hatte für mich immer etwas altbackenes an sich. Etwas schwer zu beschreibendes, ja etwas, das für eine andere Generation gemacht ist. Mittlerweile gibt es doch Thrillerüberschuss aus allen Ländern, da muss man doch keinen Tatort mehr gucken, war meine Divise. Dann habe ich vor ein paar Jahren beobachtet, dass doch mehr Leute in meinem Umfeld Tatort gucken als gedacht. Ja da wird sich sogar in Kneipen zum Public Viewing getroffen! Ist das wieder so ein Hipster-Ding, das irgendwie ironisch sein soll bis man gar nicht merkt, dass das, über das man sich doch eigentlich lächerlich machen wollte, einem auf einmal gefällt? Quasi ein sonntaglicher Oberlippenbart um 20:15 Uhr?
Tatort… irgendwie faszinierend, trotzdem nur Halbwissen meinerseits. In vielen Städten wird ermittelt, hier sind die Ermittler gut, das musst du sehen, da ist’s irgendwie komisch, weil man die Leute nicht versteht. Am Ende wird dann in den sozialen Netzwerken darüber hergezogen.

Tatort habe ich bis heute zweimal gesehen. Im ersten ging es darum, dass eine Ziege Haarproben gefressen hat und die irgendwie wieder aus der Ziege geholt werden mussten. Fand ich ganz witzig. Der zweite war gestern.
Tatort mit Til Schweiger, das ist auch an mir nicht vorbei gegangen. Vorher noch einen kurzen Blick auf das Bullshit-Bingo von Lorenz Meyer geworfen und schon ging es los. Der erste Satz war schon ein Volltreffer („Fuck!“) und leitete eine unterhaltsame, für meinen Geschmack etwas trashige Episode ein. Es gab Geballer, einen Schlag mit der Bratpfanne, kaputte Eier und eine spektakuläre Verfolgungsjagd (Mann verfolgt Auto, Auto verliert). Ich bin kein Tatort-Experte und kenne nicht das Große Ganze, deshalb kann ich diese Folge nur schwer einschätzen. Ich fand auch Til Schweiger als John McClane ganz gut, muss ich gestehen, wobei mir gerade zum Schluss ein Song von One Republic gefehlt hat. Ich freue mich schon auf das Lesen der Kritiken, zu dem ich bis jetzt noch nicht gekommen bin. Ich frage mich, was alte Tatorthasen dazu zu sagen haben. Ist eigentlich ein Remake mit Liam Neeson geplant?

Der Große Stromausfall Von München

München, der 15. November, 6:47 Uhr. Ich mache das Licht aus und verlasse das Haus. Draußen ist es fast noch finster, ich bin froh über die annen Laternen am Wegesrand. Sie weisen mir den Weg und spenden Wärme. Trotz knapper Zeit bleibe ich unter einer stehen und rieche die elektrisch geladene Luft. Ioneninhalation. Mitmenschen sind zu dieser Zeit nur vorbeihuschende Schatten.

6:53 Uhr. In der U-Bahnstation warten ein paar Leute und ich werde einer von ihnen. Die meisten sehe ich jeden Tag. Die Bahn fährt ein und ich sichere mir durch Technik und Talent einen Sitzplatz auf einem „Vierer“, die übrigen drei Plätze sind bereits besetzt.

6:56 Uhr. Die Bahn fährt los und ich ahne, dass es ab jetzt kein zurück mehr gibt. Wir passieren die erste Station. Müde Gesichter, so weit man schaut. U-Bahn of the Dead. Zweite Station, es will niemand zusteigen. Daher auch wohl kein „Zurückbleiben bitte!“, mag aber auch daran liegen, dass wir noch stehen. Dauert lange heute. Zu lange, das hätte mir gleich auffallen müssen. Hätte ich die folgende Katastrophe sonst abwenden können?

7:03 Uhr. Plötzlich ist es dunkel. Die Notbeleuchtung der Bahn ist die einzige Lichtquelle. Eine Frau steht auf, guckt und setzt sich wieder hin.

7:09 Uhr. Zeit vergeht. Ist draußen etwas passiert? Fragende Blicke, keiner weiß, was los ist. Dann endlich die Durchsage vom Fahrer: Stromausfall, geht gleich weiter. Eine Frau steht auf, guckt und setzt sich wieder hin.

7:18 Uhr. Wir warten. Eine neue Durchsage, diesmal aus den Lautsprechern der Bahnstation: Stromausfall in der gesamten Münchner Innenstadt. Ich frage mich, was wohl der Grund dafür ist und komme zu dem Schluss, die Apokalypse nicht in München erleben zu wollen. Eine Frau steht auf, guckt und setzt sich wieder hin.

7:43 Uhr. Man versucht mich auf dem Handy zu erreichen. Mein Netz reicht nur für den Empfang. Auch zuhause ist alles dunkel, meine Freundin kann sich nicht die Haare fönen und muss mit nassen zur Arbeit. Keine Sorge, denke ich, bis du da bist sind sie trocken. Der Bahnsteig füllt sich mit Schulkindern. Eine Frau steht auf, guckt und setzt sich wieder hin.

8:11 Uhr. Gegenüber fährt ein Zug ein. Trotz Stromausfall. Es kann sich nur um eine Halluzination handeln. Oder gibt es den Stromausfall womöglich gar nicht? Ich versuche, an etwas anderes zu denken. Eine Frau steht auf, guckt und setzt sich wieder hin.

8:21 Uhr. Die Notbeleuchtung geht aus. Und kurz darauf wieder an. Die Schulkinder freuen sich. Was für ein Spaß. Eine Frau steht auf, guckt und setzt sich wieder hin.

8:36 Uhr. Und noch mehr Zeit vergeht. Dann ein Knacken in den Lautsprechern. Das Licht wird heller. Endlich die Durchsage: „Zurückbleiben bitte!“ Es gibt wieder Strom. Die Frau bleibt sitzen.

8:58 Uhr. Der Zug wird immer voller, ich bin froh, Am Hauptbahnhof aussteigen zu können. Dort wollen alle raus und noch mehr rein, doch werden letztere nicht gelassen, anscheinend wegen der kritischen Biomasse. Am nächsten Tag wird vom „Strom-Chaos“ berichtet. Damit muss das hier gemeint sein.

9:07 Uhr: Ich erreiche die Oberfläche. Mittlerweile ist es hell, Die Bahnhofsuhr steht auf fünf vor zwölf. Ich muss die Straßenbahn nehmen, ich und alle anderen auch. Wenn ich hier bleibe, werde ich die nie erreichen. Gewitzt wie ich bin, laufe ich zur Endhaltestelle, against the grain, quasi gegen den Strom, man verzeihe mir dieses Wortspiel.

9:28 Uhr. Ich bin endlich am Ziel, was war das für ein Ritt. Ich habe Den Großen Stromausfall Von München überstanden.