Wörterbuchlyrik

Dass Texte über Erdbeben ein lyrisches Potential besitzen können, habe ich schon an anderer Stelle beschrieben. Damals hat mich ein Japanlologiereferat zur Seismolyrik geführt.
Heute beschäftige ich mich mit Deutsch-Japanischen Wörterbüchern und stoße auf einige Kuriositäten. Neben „Schnedderengtengteng!“ und „einer Leiche folgen“ kann man so einiges zum Schmunzeln finden, auch oft längst vergessene Wörter wie „Beißkohl“ oder „todbang“ sind keine Seltenheit.
Hängengeblieben ist bei mir aber vor allem der Eintrag zu „bleiben“ im SANSYUSYA-Wörterbuch von 1972. Was dort an Beispielsätzen hintereinander steht, ließt sich wie ein Gedicht, quasi Wörterbuchlyrik:

Es bleibt alles, wie es war.
Zwei von sieben bleibt fünf.
Ihm bleibt nur sein Haus.
Wo Bleibt er?
Wo ist er nur geblieben?
Und wo bleibe ich?

Bleiben Sie gesund!

(SANSYUSYA 1972: 173)

Anscheinend ist vieles sicher. Genauso sicher, wie 7-5=2 ist, dass ihm, wer immer auch gemeint ist, nichts außer seinem Haus bleibt. Immerhin, könnte man da sagen, aber ungewiss ist, wo er als Person bleibt, also er ohne sein Haus. Er ist nicht mehr da, wo kann er nur sein? Den Sprecher erinnert es an sich selbst und er stellt auch sein Sein in Frage. Das Gedicht schließt mit einem Rat an den Leser. „Bleiben Sie gesund!“ Hier kann man sehen, was so viele sehen – sei es bei Geburtstagen oder der Unterhaltung auf der Straße: Egal, wo man bleibt, auch ohne Haus und mit der Ungewissheit über Sein oder Nichtsein, Hauptsache gesund!
 

Jahresrückblickblog 2010

Die Nullerjahre sind passé und die Frage danach, wofür die nun eigentlich berühmt waren – ob Clogs oder iPods – rückt jetzt im angebrochenen Jahr 2011 erstmal in den Hintergrund und bleibt höchstens für Olli Geissen & Co. interessant.
2010 war ein jahr voller Ereignisse. So wie jedes andere übrigens auch. Für mich persönlich hat sich einiges geändert.
Ich hatte die Möglichkeit, mich viel mit mir selbst zu beschäftigen und mich so besser kennenzulernen, was zu Tagen voller Euphorie geführt hat.
Ich habe endlich entschieden, dass mein Master-Studium Deutsch als Fremdsprache 2011 mit einer Diskursanalyse seinen hoffentlich fulminanten Abschluss findet. Fragen danach, was ich denn bitte damit mal machen wolle, hielten sich im Vergleich zum Japanologie-Studium in Grenzen, worüber ich nicht meckern kann.
Ich habe herausgefunden, dass ich nicht im Call-Center arbeiten kann, ohne verrückt zu werden und dass mir die Betreuung einer Community für Schüler viel besser liegt,aber das nur am Rande.
Zur brandenburger Heimat habe ich immer noch ein gespaltenes Verhältnis. Ein Fensterblick aus dem Zug im Herbst ließ mich fragen, wer hier ernsthaft wohnen könne, ohne langsam den Verstand in der Tristesse zu verlieren. Ich könnte überall leben, aber hier noch nicht.
Ich hatte schöne Zeiten in Paris und Bordeaux.
Der Geist der Frau von Heinrich Heine hat mich verfolgt.
Ich habe die größte Wanderdüne Europas bestiegen. Wo immer sie auch hinwandert, ich wünsche eine gute Reise. Vielleicht läuft man sich nochmal über den Weg.
Ich habe viele schöne Caches gefunden.
Ich habe mit Jean-Paul Sartre und Albert Camus einen Kaffee getrunken.
2010 war ein jahr voller Ereignisse. So wie jedes andere übrigens auch.

Dune du Pyla et moi.

Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen

Wie versprochen folgt jetzt ein Text, den ich vor ganz ganz vielen Jahren geschrieben habe. Er ist schon etwas ranzig und an den Ecken lauern Spinnweben, aber er hat trotzdem seinen Charme, ist er doch der erste Text dieser Art, den ich geschrieben habe. Zum Kontext: Nachdem ich 2002 mein Abi gemacht habe, arbeitete ich ein paar Monate in einem Kaufland. Meine ersten Eindrücke davon könnt ihr nun lesen. Eines möchte ich aber noch loswerden: Frau H., es war jugendlicher Leichtsinn, sie zu diffamieren, bitte nehmen Sie es mir nicht zu übel. Ich würde heute keinen Menschen mehr beleidigen, außer es sind welche des öffentlichen Lebens, da nehme ich mir das raus. So und los gehts:

Mein erster Arbeitstag im Kaufland

Hab Vormittag mit Frau V meinen Arbeitsvertrag abgeschlossen. Nebenbei meinte Frau R, ich sollte mich bereithalten, da ich noch am selben Tag eventuell antanzen könnte.
Mittags klingelte das Telefon. Ich sollte so schnell wie möglich zur Arbeit kommen. Überraschend war die Arbeitszeit von 12 Uhr bis 22 Uhr.
Verantwortlich für mich war Frau H. Frau H als dümmlich zu bezeichnen, ist noch geschmeichelt. Meine erste Aufgabe war – ich wusste noch nicht, dass ich den ganzen langen Tag damit verbringen sollte – das Aussortieren einer vermüllten Palette vom Vorgängersupermarkt Famila, das Aufschreiben der jeweiligen Artikel und dann wieder das Einsortieren der Artikel auf die Palette. Nach einem Lob der Chefin, wie toll ich doch die Artikel da einsortiert habe, meinte Frau H, ich solle doch die Artikel wieder von der Palette nehmen. Bevor ich realisierte, was sie überhaupt wollte, begründete sie das damit, dass ich doch noch alle Artikel auspreisen muss. Ich dachte mir, ja klar das mach ich, da geht die Zeit wenigstens schnell vorbei. Die Zeit ging in der tat vorbei, was für mich relativ überraschend war, da ich nicht nur tackern musste, sondern auch noch die jeweils vorhandenen zwei Preisaufkleber mit einem roten X versehen musste. Die neuen Preise durften nämlich nicht über die alten getackert werden, sondern möglichst links daneben. Ich sollte es sozusagen wie ein Unfall aussehen lassen. Der Kunde soll denken: „Ha! Da hat der Blödmann die so ausgepriesen, dass ich noch den alten Preis sehen kann!“
Die Palette bestand nur aus Autozubehör, einem Gebiet, in dem ich durchaus noch Lernfähig bin. Es gab Massenweise „Mehrzweckfett“. Für mich war das jedoch nur zu einem Zweck da: Das fettig machen meiner Hände. Manchmal dachte ich, die Leute von Famila, die das vorher schon ausgepriesen haben, waren alle aggressiv. Ich hatte manchmal den Eindruck, sie übertackerten die Preise sooft, dass die kleinen Aufkleber höher als breit waren. Während ich so tackerte und rackerte, lernte ich den Azubi kennen. Ich fragte nicht nach dem Namen, aber er war sehr nett.
Um ca. 5 Uhr war ich fertig mit der Palette. Aber keine Angst, immer wenn ich mich umdrehte, sahen mich unzählige weitere Paletten an, die darauf warteten, ausgeräumt zu werden.
Irgendwann fragte mich Frau H, ob ich nicht mal Pause machen wolle. Ich bildete mir ein, ich bräuchte keine Pause und hoffte somit früher fertig zu werden. Ich antwortete mit „Ja gleich.“
Dummerweise wusste ich den ganzen Tag nicht, wie spät es ist und bildete mir irgendwann ein, ich hätte bald Feierabend. Ich fragte dann eine Kollegin nach der Uhrzeit und sagte ihr, ich hätte am ersten Tag meine Uhr vergessen; nur so um ins Gespräch zu kommen. Sie antwortete nur: „Ach das ist ja putzig.“
Langsam merkte ich, wie ich immer mehr Schreibfehler machte. Ich will gar nicht wissen wieviele ich nicht bemerkte. Jedenfalls machte ich dann Pause und ging Döner essen. Auf dem Weg zum Ausgang traf ich den noch namenlosen Azubi. Als ich sagte, dass ich an diesem Tag und am nächsten Tag jeweils 10 Stunden arbeiten muss, war er geschockt als hätte ich ihm mitgeteilt, er wäre schwanger. Fand ich jedenfalls putzig. Als die Pause zuende war, fühle ich mich wie neu geboren, allerdings nur für ungefähr sieben Minuten.
Um 20 Uhr kamen die Leute zur Nachtschicht. Sie wollten wie ich in zwei Stunden Schluss haben. Außerdem brachten sie eine neue Palette für mich. Langsam wurde ich aggressiv, weil ich langsam keine Kraft mehr für den Tacker hatte oder besser ausgedrückt: Irgendwie ging der Tacker immer schwerer. Jedenfalls hab ich oft aus Wut meterhohe Auspreisungen gemacht.
Zum Ende hin habe ich dann die Orientierung verloren und mich gefragt, wo ich eigentlich bin. Nach etwas Überlegung fand ich es dann ohne fremde Hilfe heraus. Nächstesmal nehme ich mir etwas zu trinken mit.
Die beste Aufgabe habe ich mir für den Schluss bzw. für den nächsten Tag aufgehoben: 173 Erfrischungstücherpäckchen (mit jeweils einem einzigen Tuch) wollten ihre Preise durchgestrichen haben und verbilligt werden… Es erinnert mich an den Witz, in dem jemand 2000 Kondome bestellt hat und sich beim Verkäufer beschwerte, dass nur 1997 drin waren. Der Verkäufer meinte daraufhin: „Ich hoffe, ich habe ihnen nicht das Wochenende versaut“.
Kurz vor 22 Uhr ging ich zu Frau H, die mir die Tür des Hintereingangs öffnete. Ich wusste wieder nicht wo ich war. Hab mich grob daran erinnert, dass das Kaufland 2 im Erdgeschoss ist, also das Lager auch und folglich war ich nicht auf dem Parkdeck… Das war der erste Tag im Kaufland 2. Fortsetzung folgt. Eventuell.