Grundsolide deutsche Tugenden

Gestern war Sonntag. Das heißt im Allgemeinen, dass wieder einmal hunderte von kostenlosen Regionalzeitungen ins Haus flatterten und im Besonderen, dass die Fußball-WM 2011 eröffnet wurde. Zwei Ereignisse, die auf seltsamerweise zusammenhängen. Fangen wir bei der Weltmeisterschaft an. Viele Medien wurden im Vorfeld der Spiele nicht müde, über das Leben und den Migrationshintergrund der deutschen Nationalfußballerin Lira Bajramaj zu berichten. Auch die oft zitierte „gelungene Integration“ – was immer das auch ist – wurde in diesem Zusammenhang oft erwähnt. Beim gestrigen Spiel gegen das kanadische Team wurden ihr dann sogar „grundsolide deutsche Tugenden“ nachgesagt, was mich verdutzt aufhorchen lies. Nicht, weil ich hinter jedem Aufschrei danach Deutschtümelei vermute, sondern weil solche Begriffe einfach idiotisch sind. Im Allgemeinen wird bei der Assoziation „grundsolider deutscher Tugenden“ die Mottenkiste der Stereotype aufgemacht und Sachen wie Pünktlichkeit oder Gründlichkeit herausgenommen, aber so war das gar nicht gemeint.
Die Mottenkiste kann zu bleiben, man nehme eine regionale Sonntagszeitung – auch „Wurschtblatt“ genannt. Hier wird man nicht nur über Omas neues Heim oder die neuesten Schönheitswettbewerbe des nahen Autohauses informiert, nein man bekommt auch mit, was jenseits des Gartenzauns passiert. So zum Beispiel in Las Vegas. Die wohl noch bekannteste deutsche Tennisspielerin lebt dort glücklich mit ihrer Familie, nur etwas fehlt. Sind es die „grundsoliden deutschen Tugenden“? Möglicherweise, denn sie lässt verlauten, so einige deutsche Traditionen ins Familienleben aufgenommen zu haben. Aha, denkt der Leser, was soll das denn sein? Schwierig, zumal die Mottenkiste zu ist. Die Antwort ist ernüchternd und passt deshalb so gut zum Traditionsbegriff. „Ein Schnitzel muss ab und zu auf den Tisch.“
Vergessen wir also Pünktlichkeit und Fleiß, das kann doch eh niemand erfüllen. Aber ab und zu ein Schnitzel essen, das muss schon drin sein. Dann gelingt auch die Integration.

TFTC

Hätte mir vor ein paar Jahren jemand gesagt, dass ich mal ein Hobby haben werde, bei dem ich regelmäßig draußen unterwegs sein würde, ja sogar in der Natur, hätte ich ihm sicherlich einen, wenn nicht sogar den Vogel gezeigt. Nun sitze ich hier und möchte etwas über Geocaching schreiben.
Ich weiß nicht mehr genau, wo ich davon zuerst gehört habe, wahrscheinlich im Internet oder nein, vielleicht auch im Fernsehen. Da habe ich zumindest von einem Buch von Bernhard Hoëcker gehört, irgendwas mit Schnitzeljagd und GPS. Ja ich glaube, so war das.
Dabei geht es im Grunde darum, Behälter, die auf der ganzen Welt versteckt sind zu suchen. Verzeichnet sind diese Caches auf Internetseiten wie geocaching.com oder opencaching.de. Die Daten lädt man sich auf ein GPS-Gerät oder Handy mit GPS und dann gilt es, die Caches zu finden. Menschen, die nichts von der Schatzsuche wissen – auch Muggel genannt – werden dabei gemieden. Hat man einen Cache gefunden, trägt man sich in das dazugehörige Logbuch ein, indem man etwas zum Cache schreibt und sich bedankt (zum Beispiel mit TFTC – Thanks for the Cache). Möglicherweise befinden sich tolle Gegenstände im Cache, die man gegen gleich- oder höherwertige eintauschen kann. Zum Schluss versteckt man den Schatz wieder an der Stelle, an dem man ihn gefunden hat, damit auch anderen das wohlige Glücksgefühl des Findens nicht verwehrt bleibt. Da meine Erklärung sehr grob ist und Dinge wie Schwierigkeitsgrade oder Cachetypen auslässt, empfehle ich für weitere Informationen geocaching.de und die ausgezeichneten Podcasts von dosenfischer.de, insbesondere die Nummer 28, in der mehr informiert wird als ich es hier tun kann. Auch radioeins hat vor kurzem eine nette Reihe zum Thema zusammengestellt.
2009 habe ich mit dem Geocachen angefangen und bis heute viel Spaß damit gehabt. Anfangs nur mit Google Maps bewaffnet ging die Suche eher schleppend voran, was natürlich auch seinen Reiz hatte. Mittlerweile benutze ich ein HTC Desire mit der kostenlosen Android-App c:geo, bevorzuge also ein neumodisches Telefon und kein GPS-Gerät im eigentlichen Sinn.
In den vergangenen 2 Jahren hat mich die Schatzsuche in verlassene Häuser und in Abflusstunnel geführt. Vor Kurzem wäre ich fast in der Wildnis des Auenwalds versackt. Ich habe Orte in Orten kennengelernt, die ich vorher dachte zu kennen und jetzt viel besser kenne. Jeder Tag davon ist einzigartig und zusammen mit Freunden Cachen zu gehen ist immer etwas besonderes.
Hätte mir vor ein paar Jahren jemand gesagt, dass ich mal ein Hobby haben werde, bei dem ich regelmäßig draußen unterwegs sein würde, ja sogar in der Natur, hätte ich ihm sicherlich einen, wenn nicht sogar den Vogel gezeigt. Heute ist das für mich selbstverständlich. Fast immer, wenn ich irgendwo hinfahre, stellt sich mir nur eine Frage: Gibt es da auch einen Cache?

Zur Konnotation des Arzt-, Patient- und Linguistseins

Liebes Tagebuch,

was soll das? Wieso laufen mir an einem Tag rauchende hochschwangere und hakenkreuztätowierte Frauen über den Weg? Muss das sein?
Vielleicht hätte ich mir den Weg sparen sollen, aber das wäre nicht gerade förderlich für mich gewesen, ging ich doch mit der Aussicht auf Wurzelbehandlung zum Zahnarzt. Der Weg an sich war übrigens leicht und keineswegs steinig und schwer, wie kiffende Autofahrer oft in anderen Kontexten behaupten.
Jahrelang litt ich unter einer Angst vor Zahnärzten (in Fachkreisen auch „Zahnarztangst“ genannt), die sich mittlerweile verflüchtigt, ja in eine lässige Wartezimmercoolness verwandelt hat. Rückfälle sind aber immer möglich, insbesondere bei kurioser Operationsbeschallung, aber Enrique sang bis jetzt nur einmal.
Meist vollzieht sich die Beschallung von Seiten des Arztes, der diesmal darüber dozierte, dass viele Wörter negativ konnotiert sind. Wer denkt bei ZAHNARZTBOHRER an blühende Landschaften? Dann leitete er über zu Gebrauchsanweisungen, die zum Kauf eines extraordinären Produktes gratulieren. Da freut sich die Mutti gleich doppelt über die neue Bratpfanne. Leider habe ich irgendwann den Faden verloren (nicht nur im Mund, harhar). Wenn man da so sitzt und vor lauter offenem Kopf nicht die Paradebeispiele von positiv konnotierten Wörtern anfügen kann, die man in seinem Studium gelernt hat (…), frustriert das etwas. Glücklicherweise schloss der Arzt seine Ausführungen mit den Worten ab, dass ich das als Linguist (Linguist!) aber wohl am besten wisse. Was für ein Mensch, der sich damit den Status Angstzahnarzt (im positiven Angstbekämpfungssinn) von mir dem Angstpatienten (im negativen Angsterfülltheitssinn) redlich verdient hat. Das ließ mich dann wieder Aufatmen und hätte ich dich nicht angeschrieben, liebes Tagebuch, wer weiß ob ich dann noch an rauchende schwangere Hakenkreuzfrauen denken würde.

~S.