Segelreise 2016 (Teil 1)

Pippilotta 2016

Here we go again …

Vor ziemlich genau zwei Jahren segelte ich zusammen mit Freunden auf dem Traditionsschiff „Pippilotta“ durch die Dänische Südsee (nachzulesen hier). Der Trip dauerte eine Woche und uns war schnell klar, dass wir das wiederholen werden. Nur länger sollte es sein und ein Ziel sollte es auch geben. Noch bevor die Reise zu Ende war machten wir die nächste fest. Zwei Wochen, Göteborg, hin und zurück.

Zwei Jahre haben wir diesem Tag hingegengefiebert und nun ist es so weit.

Ich habe jeden Tag aufgeschrieben, was so passiert ist. Das ganze folgt nun mehr oder weniger unbearbeitet in mehreren Teilen. Viel Spaß beim Lesen.

Tag 0

Rostock

Wir machten uns auf den Weg von Berlin nach Rostock.zur Hanse Sail, wo die Pippilotta auf uns wartete. Der Weg nach Rostock war leicht, nur das Gepäck war schwer. Da das Schiff in vierter Reihe im Hafen lag, mussten wir uns labyrinthartig mit diversen See- und Rucksäcken in den Armen zur Pippilotta über die drei anderen Schiffe manövrieren. Dass uns das morgen für die gesamte Getränke- und Essenslieferung bevorsteht war nur ein Gedanke am Rande, der schnell wieder verdrängt wurde. Es überwog das wohlige Gefühl, endlich da zu sein, wo wir sein wollten.
Die Stände und Fahrgeschäfte der Hanse Sail wurden langsam abgebaut. Einzig ein einsames Diskolicht leuchtete der Pippilotta und uns in der Nacht, bevor es morgen mit der Reise gen Göteborg losgeht.

Tag 1

Stubbekøbing

Heute hieß es um halb 6 aufstehen und auf die Getränke- und Essenslieferung warten. Die kam dann auch prompt (quasi wie bestellt). Das ganze wurde dann im Schiff verstaut, was wider Erwarten ganz gut geklappt hat.

Bevor es losgehen konnte, mussten noch einige Vorkehrungen getroffen werden. Unter anderem half ich dabei, das Beiboot zu holen. Das klappte eher suboptimal. Zwar gelang es uns ohne Probleme, das Beiboot zur Pippilotta zu navigieren, aber beim letzten Schritt – d.h. beim Heranziehen an die Pippilotta – wurden meine Arme immer kürzer. Ich blickte in den Abgrund in Form des Rostocker Hafenbeckens und wie heißt es so schön: Schaust du zu lange in den Abgrund, schaut er irgendwann zurück. So lange war das jetzt gar nicht, aber es hat gereicht um Bekanntschaft mit dem Hafenwasser zu machen. In kürzester Zeit fiel ich ins Wasser und genauso schnell war ich wieder draußen, nur leider klitschnass. Das passiert wirklich nicht alle Tage und ich glaube, jetzt wo ich es hinter mir habe, wird mir das nicht noch einmal passieren. Das glaube ich ganz fest. Genau.

Los ging es dann um 10 Uhr. Der Wind kommt aus Norden, was ungünstig ist, wenn man Göteborg erreichen will. Die gute Nachricht ist, dass er aber dreht. Die schlechte: Leider erst in einer Woche. Das kann also noch interessant werden. Um 11 Uhr bekamen wir eine kurze Einweisung und hissten dann die Segel. Der Wind war dann doch nicht so schlecht, so dass wir auch ohne Motor eine Zeit lang gut vorankamen. Am Nachmittag überquerten wir ein Riff mit einer Wassertiefe von 5 Metern. Dementsprechend schaukelte es schön. Gegen 20 Uhr steuerten wir den Hafen von Stubbekøbing an.

Hier sind wir nun und essen Nudeln mit Tomatensoße (lecker). Morgen Vormittag geht es dann weiter. Ob wir weiterhin Göteborg ansteuern ist wegen des Windes noch unklar.

Strohhalme, Taschenmesser und Dankbarkeit

Ich war vor ein paar Tagen mal wieder in München. Es war Sonntag Abend und ich wollte noch schnell etwas essen, also ging ich in ein Fast-Food-Restaurant im Hauptbahnhof. Ich weiß, eklig eklig, aber ich hielt das für eine gute Idee.

Dort angekommen war es knackevoll. Ich bestellte mir was und nachdem ich bezahlt habe wurde gleich neben mir ein Vierer frei. Da setzte ich mich natürlich sofort hin.

Es dauerte nicht lange und es kamen zwei Jugendliche auf mich zu, ich schätze nicht älter als 15. Sie trugen beide Schirmmützen und so Jacken, die aussehen wie aufgeblasen (es war an dem Tag sehr kalt). Außerdem hatten beide ein Tablett in der Hand. Sie unterschieden sich einzig darin, dass einer der beiden die ganze Zeit über nichts gesagt hat, aber ich greife vor.

Der eine fragte mich, ob bei mir noch Platz sei und ob sie sich dazu setzen dürften. Ich sagte, das sei kein Problem und so saßen sie mir gegenüber. Mir ist aufgefallen, dass der eine (der mit der Stimme) auf seinem Tablett drei Burger, dreimal Pommes, drei Getränke und zwei Eisbecher hatte. Auf dem Tablett des anderen befand sich nichts. Er bedankte sich höflich bei mir und sagte dem anderen, er solle Strohhalme besorgen, und zwar genau drei. Der andere ging los, kam schnell wieder und brachte 4 Strohalme mit. Der eine fragte, warum er vier statt drei mitgebracht hat, bekam aber natürlich keine Antwort. Das passte mir jedoch wunderbar, denn ich hatte gar kein Strohhalm. Ich war so froh über meinen Platz, dass ich nicht nochmal aufstehen wollte, um einen zu besorgen. Sowieso, warum ist das so strickt voneinander getrennt? Getränk und Strohhalm? Das ist doch bescheuert.1 Ich fand das jedenfalls super und wer weiß, woran es lag – an der bayovarischen Luft, an der Musik, ich weiß es nicht – jedenfalls tat ich etwas, was ich eigentlich nie tun würde. Ich nahm mir den vierten Strohhalm, sagte so etwas wie „Den nehme ich!“ und steckte ihn in mein Getränk.

Der mit der Stimme gab dem anderen einen Burger. Danach bedankte er sich bei mir dafür, dass sie hier sitzen dürfen. Er fing an, seine drei Portionen Pommes auf seinem Tablett auszukippen. Dabei sagte er zu sich selbst, dass die Pommes hier am besten schmecken würden. Viel besser jedenfalls als gegenüber im anderen Fast-Food-Restaurant. Ich musste schmunzeln, da mir der Unterschied auch schon aufgefallen ist. Das hat er bemerkt und sagte laut, dass man die gegenüber ja nicht fressen könne. Danach bedankte er sich wieder dafür, dass sie beide hier sitzen dürfen.

Irgendwann nahm er dann eine dieser kleinen Ketchuptüten vom Tablett und versuchte, sie zu öffnen. Das klappte überhaupt nicht, wahrscheinlich wegen seiner pommesbedingten Fettfinger. Ich sah mir das eine Weile an, dann bekam ich Mitleid. Ich griff in meinen Rucksack, holte ein Taschenmesser hervor und gab es ihm wortlos. Er nahm es ebenso wortlos an. Mein Mitleid nahm jedoch noch zu, da er es nicht schaffte, das Messer aufzuklappen. Seine Übung darin war klein oder nicht vorhanden, aber sein Ehrgeiz war groß, deshalb klappte es am Ende doch noch. Er schnitt die Tüte mit dem Messer auf, wobei sich allerdings nicht wenig Ketchup auf der Klinge verteilte. Das kam mir langsam alles so absurd vor – das ständige Bedanken, die Mengen an Essen, die sonstige Wortlosigkeit und nun auch noch das wie mit Blut beschmierte Messer, dass ich fast laut losgelacht hätte. Er machte das Taschenmesser dann sauber und gab es mir wieder ohne Worte zurück. Ich nahm es, steckte es ein und kurz darauf nahm ich meine Sachen. Bevor ich losgehen konnte, bedanke er sich knapp für das Messer. Ich nickte und verabschiedete mich mit einem „Na dann …“.

Diese ganze Geschichte blieb mir aus verschiedenen Gründen im Gedächtnis. Ich ziemlich unsozial und hier wurde ich mit fremden Menschen konfrontiert. Das läuft eigentlich fast immer auf seltsame Situationen hinaus, nach denen ich mich frage, was ich hätte anders machen können. Hier aber bin ich irgendwie richtig zufrieden. Ich weiß nicht, ob ich so cool rüberkam wie ich mich dabei gefühlt habe mit meinem Strohhalm und meinem Messerchen, aber ich glaube, das war ein schöner Moment. Und so ganz dicht waren die anderen beiden auch nicht.


  1. Jaja, werden einige Leute jetzt sagen, die Strohhalme – oder besser gesagt Trinkröhrchen – befinden sich an extra dafür vorgesehenen Stationen, zusammen mit Papiertücher und einer schrecklichen Kinozeitschrift. Das ist automatisch die erste Anlaufstelle, nachdem man seine Bestellung bekommen hat, damit die Mitarbeiter nicht aufgehalten werden, da noch Trinkröhrchen und Papiertücher zu sortieren und die Zeitung würde ja dann auch keiner lesen. Selbst schuld, wenn du dir schon vorher den erst besten Platz sichern musst! Das stimmt, allerdings befinden sich die Papiertücher nicht bei besagter Station, sondern direkt in der Kassentheke und es war wie gesagt super voll und überhaupt auf welcher Seite steht ihr überhaupt? ↩︎

DAE …? 

Je länger man über gewisse Sachen nachdenkt, desto seltsamer werden sie. Es gibt zum Beispiel gewisse Wörter, die immer komischer werden, je länger ich sie im Kopf habe. Gemüse ist so ein Wort. Gemüse Gemüse Gemüse. Was soll das? Ist das ein richtiges Wort oder habe ich mir das gerade ausgedacht? Und wenn nicht ich, wer dann? Oder Ersterbender. Neulich erst gelesen.

Eigennamen sind da natürlich noch eine Ecke schärfer. Ich habe da das Glück, aus Eberswalde zu kommen. Das hat als Wappen zwei Wildschweine und eine Eiche. Klare Sache, woher der Name kommt, da werden wirklich alle Fragen beantwortet, bevor man überhaupt welche stellen kann. Aber was ist mit Castrop-Rauxel? Vielleicht bin ich da ignorant, aber das kann ich mir nicht erklären. Nicht, das ich das müsste, ich frage mich das ja bei Leipzig oder so auch nicht. Trotzdem kann ich mich über Castrop-Rauxel nicht nicht wundern. Ich denke, Castrop klingt wie eine Firma in einer dystopischen Zukunft, die monopolmäßig alles kontrolliert. Rauxel hingegen hört sich für mich wie eine Art Nagetier an.

Als Teenager dachte ich immer, ich wäre der einzige, der ständig nachdenken muss. Ich dachte, ich wäre super speziell und das wäre Segen und Fluch zugleich. Wie sehr wünsche ich mir, meine Gedanken einmal abzuschalten und an gar nichts zu denken. Später habe ich dann gelernt, dass das wohl allen Menschen so geht, selbst den hohlsten. Das war ernüchternd und erleichternd und seitdem halte ich mich mit Sätzen, die mit „Bin ich der einzige, der …“ beginnen stark zurück. Im Internet lese ich das ständig, ja es gibt sogar die etablierte Abkürzung „DAE“ (Did anyone ever …). Die Antwort darauf ist immer nein, du bist nicht der einzige bzw. ja, irgendjemand sieht das genau wie du.

Apropos zu lange Gedanken machen. Ich wundere mich über Läden, die „Geschenke“ als Sortiment angeben. Was soll das sein? Sagt man sich, oh, XY hat Geburtstag und ich brauche noch ein Geschenk. Wo könnte ich besser eins bekommen als im Geschenkeladen? In so einem Laden kann mich alles und nichts erwarten, denn alles kann ein Geschenk sein. Meistens gibt es aber Schnulli. Man sollte sie in Schnulliläden umbenennen. Geschenke ist so nichtssagend. Schlimmer ist nur noch „Blumen und Geschenke“ oder „Geschenke und Getränke“. In diesem Läden bestehen die Geschenke wiederum aus Blumen oder Getränke. Das wäre so, als würde ein Supermarkt „Lebensmittel und Gemüse“ anpreisen. Bin ich der einzige, der so darüber denkt?